Das Wort hat heute eine schlechte Presse. Wie auch bei anderen Reizwörtern weiß aber kaum einer zu sagen, was denn das eigentlich sein soll. Auch deshalb, weil der Begriff „Nation“ eine lange Geschichte des Bedeutungswandels durchlebt hat. Heute bedeutet „Nationalismus“ die Erkenntnis, daß jedem Volk als dem Träger einer spezifischen Kultur ein hoher Rang auf der ethischen Werteskala zukommt. Die Kultur ist die konkrete Frucht der Menschenwürde, der geistigen Dimension des Menschen. Konsequent leitet das Grundgesetz von der Setzung der Menschenwürde als höchsten Wert die Forderung nach einer Politik zum „Wohle des Volkes“ ab. Kultur und Volk sind also objektiv existente Wesenheiten, nicht bloß erdachte Konstrukte oder Phantasiegebilde. Nationalismus ist die zukunftsoffene Gemeinschaftsform, die denknotwendig aus dem Humanismus folgt.
Sprache als Identitätsstifter
Sprache und Religion sind wohl die am ehesten faßbaren kulturellen Merkmale und sie kennzeichnen einzelne Menschengruppen seit es Menschen gibt; erst Horden; dann Stämme, dann Völker. Die Angehörigen einer Sprach- und Kulturgemeinschaft waren sich auch der Zugehörigkeit zu ihrem Volk bewußt. Schon im Sanskrit und dann im Griechisch der klassischen Antike bezeichnete „Barbar“ den Fremdvölkischen, der die jeweilige Hochsprache nicht beherrschte.
Völker als Träger der Kultur
Durch den geistigen Austausch zwischen den Menschen einer Gruppe über viele Generationen hinweg bildet sich ein besonderer Stil des geistigen Miteinander, verflechten sich geistige Schöpfungen wie Sprache, Kunst, Religion, Philosophie, Weltanschauung und Alltagskultur zur Gesamtheit einer spezifischen Kultur. Diese kulturell bestimmten Menschengruppen sind die Völker, die Träger der Kulturen als Ausdruck des Geistes der Menschheit. Durch das Zusammenleben über viele Generationen sind die Völker dann auch Herkunfts- und Siedlungsgemeinschaft, zudem Schicksalsgemeinschaft. Nationalismus als Anerkennung und Wertschätzung aller Kulturen stellt das ausschließende Gegenteil zum Auserwähltheitswahn („Chauvinismus“) dar, der nur eine Gruppe oder ein Volk für wertvoll hält, alle übrigen seien seelenlos, tierhaft, untermenschlich. Ein Nationalist achtet alle Völker als Träger der Kulturen, der Bausteine der Weltkultur, ein Vertreter von Ideologien der Auserwähltheit verachtet (fast) alle.
Wandel des Begriffes Nation
Obwohl es also Kulturgemeinschaften, Völker, schon immer gab, waren in den historischen Epochen unterschiedliche Formen gesellschaftlicher Zusammenschlüsse von Bedeutung. Im Mittelalter bezeichnete der Begriff „Nation“ eine Rechtsgemeinschaft, der jemand auf Grund seiner Herkunft angehörte. Die „nationes“ der Universitäten waren Zusammenschlüsse von Lehrern und Studenten aus bestimmten Regionen ohne Rücksicht auf Sprache und Volkstum. Später war die Zugehörigkeit zu einer politischen Einheit, etwa Reich oder Herrschaft, das bestimmende Merkmal von Nation.
Region statt Nation in ‚Germania‘
Mit den Humanisten erwachte in der deutschen Geisteswelt das Verständnis für die nationale Identität, Geschichte und das literarische Erbe. Conrad Celtis gab die Germania von Tacitus heraus, der Elsässer Wimpfeling verfaßte eine umfassende Geschichte der Deutschen, der er ebenfalls den Titel „Germania“ gab. Allerdings blieb die Masse des Volkes bis zum 18. Jahrhundert eingebunden in Familie und Sippe, Dorf oder Stadt oder Region. Kulturell bestimmtes Zusammengehörigkeitsgefühl drückte sich als Stammesstolz und Heimatgefühl aus. Es entwickelte sich allmählich ein kulturell geprägtes Verständnis von Nationszugehörigkeit, das auf gemeinsamer Sprache und Geschichte beruhte, etwa ein Selbstverständnis als Bayern oder Sachsen.
Imperien stürzen, die Nation erwacht
Inspiriert durch die Machtergreifung der Siedler in Amerika stürzte mit dem Chaos der französischen Revolution die feudalistische Ordnung. Das Massenerlebnis der napoleonischen Kriege und Eroberungen schweißte die Staatsangehörigen Frankreichs zu einer neuartigen, egalitären Entität zusammen, der „nation“, die Franzosen aller Regionen umfaßte, zudem Korsen, Katalanen, Elsässer, Okzitanier, Basken, Bretonen, Italiener aus Nizza und Flamen aus Dünkirchen. Frankreich war ja von je her ein Territorialstaat, der mehrere Nationalitäten straff zusammenschloß.
Das Zerbrechen der überkommenen Feudalordnung und der Ständegesellschaft bereitete den Boden für die Einsicht der Bedeutung von Sprache und Kultur als Bindeglied der gesellschaftlichen Großgruppe Nation, bzw. Volk. Nation als Zukunftsverheißung versprach dem Einzelnen egalitäre Teilhabe, Gleichberechtigung und eigenbestimmte Entfaltung innerhalb der Gemeinschaft der Volksangehörigen.
Dieser moderne Nationalismus ist damit ein revolutionäres Zukunftskonzept, dem genuin das demokratische Ideal zugehört und das Streben nach einer Sozial- und Wirtschaftsordnung, in der die hinreichende Versorgung mit den knappen Gütern für alle Volksangehörigen erreichbar ist.
Nation als Widersacherin gegen Globalismus
Der Nationalstaat stellt (abgesehen von völkischen Minderheiten im Siedlungsgebiet) die Organisationsform eines Volkes dar, auch in Form von Föderationen, in denen den Völkern kulturelle Selbstbestimmung und autonome Entfaltung möglich ist.
Seit langem ist jedoch die Existenz von kulturell bestimmten Staatsformen bedroht von den auflösenden Tendenzen der derzeit virulenten Form des Kapitalismus, dem NEO-Liberalismus. Dieses Regelsystem hat mit „liberal“ oder „Freiem Markt“ nichts zu tun. Der NEO-Liberalismus trachtet nach Auflösung aller staatlichen Regeln und damit des Staates selbst ohne Rücksicht auf Kultur und Geschichte der Völker. Die Forderung nach „Deregulierung, Entbürokratisierung, Privatisierung“ dient der Profitmaximierung der Konzerne und ihrer indirekten Eigentümer, der Gruppe der Vielfachmilliardäre. In einem Prozeß der Dehumanisierung will er die Gesellschaft atomisieren und den Einzelnen aus allen natürlichen Gemeinschaften herauslösen, aus Volk, Sprache und Kultur, Religion, Heimat, Familie und aus dem familiären Rollenbild Mutter und Vater, selbst aus der Mann-Frau-Beziehung, zuletzt sogar aus der Identität der Geschlechtszugehörigkeit. Die Aufhebung der vom Staat getroffenen sozialen Schutzbestimmungen entrechtet die Arbeitenden, die gesichtslose Masse der dehumanisierten „Verbraucher“ wird zum Opfer der Ausbeutung. Fünf bis acht der reichsten Individuen verfügen mittlerweile über mehr Vermögen als die ärmere Hälfte der gesamten Menschheit, und schon wird die Herrschaft der Auflösung als „Great Reset“ proklamiert.
Neoliberalismus will die nationale Idee entwerten
Aber gerade in neuester Zeit stellt sich heraus, daß der Nationalstaat dem frontalen Angriff des Neoliberalismus zu widerstehen vermag. In einigen Völkern Europas macht das Bewußtsein von den Kulturen, der Geschichte, der Religion des Abendlandes zwar eine Phase der Schwäche durch, aber in Asien, in Lateinamerika und auch in Afrika finden die Völker zu ihrer Identität und widersetzen sich vehement der Hegemonie neoliberaler Bestrebungen.
Es konnte nicht anders kommen: Die Grundlagen des Menschseins, die Geistigkeit und Kultur setzen sich als Gestaltungsprinzip der Gesellschaft gegenüber bloß ökonomischen Ordnungen durch, in denen die Menschen auf den Verbrauch und die Nutzung materieller Güter reduziert werden, zugunsten des Egoismus einer schon viel zu lange privilegierten Gruppe.
Die nationale Idee ist aktueller denn je
Die Idee der Wertschätzung von Kultur und Kulturträger Volk hat sich sehr erfolgreich durchgesetzt gegen die Herabwürdigung als „rückwärtsgewandt“ oder „überholt“. Wir zehren noch heute von den Aussagen der Denker der Antike; „Alte Musik“ vom Gregorianischen Choral der ersten Jahrhunderte der Zeitrechnung, über die monumentalen Werke der Bach-Familie über Klassik und Romantik konstituiert die Musikliteratur; Dome, Kathedralen und andere Gebetsstätten zählen zum Weltkulturerbe, Malerei und Skulptur der Jahrhunderte zeichnet die Museen aus.