Die Befristung der Mehrwertsteuersenkung bis 31.12.2020 wird verlängert
Sehr geehrte Damen und Herren, willkommen bei einer weiteren Folge von Dangel „kurz& bündig“ – Wirtschaft ohne Tabus. Heute zum Thema: „Der Mehrwertsteuernepp der Bundesregierung“.
Wie Sie alle wissen wurden die Steuersätze des Umsatzsteuergesetzes zum 01.07.2020 beim Regelsteuersatz auf 16 Prozent und beim ermäßigten Steuersatz auf 5% gesenkt. Was ist hieran besonders? Nicht die Tatsache, dass der Steuersatz der im Volksmund genannten Mehrwertsteuer nicht zu Jahresbeginn, sondern unterhalb eines Jahres geändert wurde, sondern der Umstand, dass diese Senkung zeitlich befristet zum 31. Dezember 2020 gelten soll. Ab dem 01.01.2021 soll wieder eine Anhebung auf das Ursprungsniveau erfolgen.
Ich stelle nun hier die nur vermeintlich steile These auf, dass diese Befristung bis zum Jahresende 2020 entfristet wird – mit anderen Worten: Die Mehrwertsteuersenkung gilt bis auf weiteres, zumindest aber nach meiner Auffassung bis zum Jahresende 2021, also mindestens ein Jahr länger.
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Warum ist dies nach meiner Auffassung so? Die große Koalition der ökonomischen Autisten möchte mit der zeitlich befristeten Mehrwertsteuersenkung Konsumzurückhaltung vermeiden und beabsichtigte Ausgaben der Verbraucher möglichst vorziehen. Soweit, so schlecht. Das Ganze funktioniert aber nur, wenn die Konjunktur einen Vau-förmigen Verlauf nimmt, also kurzfristig ebenso stark sich wieder erholt wie sie zuvor einbrach. Ist dies nicht der Fall, würde man mit der Wiederanhebung auf das Ursprungsniveau das möglicherweise zarte Pflänzlein der konjunkturellen Erholung sofort wieder gefährden, denn nicht zuletzt die Bedeutung des Konsums für die Wirtschaftsleistung in Deutschland ist erheblich gestiegen.
Erforderlicher Exkurs in die Konjunkturforschung
Damit Sie mich besser verstehen können, sei mir ein Exkurs in die Konjunkturtheorie erlaubt. Zur Veranschaulichung konjunktureller Verläufe haben sich Buchstaben etabliert bzw. Zeichen, um konjunkturelle Entwicklungen zu illustrieren. Alle verwendeten Buchstaben und Zeichen stellen natürlich nur idealtypische, modellhaft vereinfachte Verläufe dar.
Das Vau – rascher Einbruch, phönixartige Wiedererholung
Da ist zunächst das „Vau“ zu nennen, an den die Bundesregierung wie an den Weihnachtsmann zu glauben scheint.
Gekennzeichnet ist der Vau-förmige Verlauf von einem jähen Einbruch der Wirtschaft und einer ebenso phönixartigen Erholung der Ökonomie. Zur Veranschaulichung können Sie sich hierzu eine völlige Eskalation des Handelskrieges zwischen den Vereinigten Staaten und China vorstellen, geprägt nicht nur von Zöllen, sondern von nichttarifären Handelshemmnissen, die zu faktischen Einfuhrverboten wichtiger Produkte beider Staaten führen. Mit der Eskalation bräche die Wirtschaft dramatisch ein, mit dem Abschluss des neuen Handelsabkommens erholte sie sich rasch wieder. An dieses Szenario glaubt offenbar die große Koalition der ökonomischen Autisten in der Bundesregierung.
Bei näherer Betrachtung entpuppt sich dieses Szenario als naiver Traum. Die Corona-Pandemie schafft völlig andere Rahmenbedingungen. Mit Ausbruch der Pandemie zunächst in China, dann in Europa und den USA entsteht jeweils vor Ort ein gleichzeitiger Angebots- und Nachfrageschock.
Diese Situation hat Professor Thomas Mayer brillant analysierend mit der Ruhrgebietsbesetzung im Jahr 1923-1925 durch Frankreich verglichen. Nach dem Versailler Schanddiktat konnte damals die junge Weimarer Republik die völlig überhöhten Reparationsforderungen der alliierten Kriegsgewinnler nicht begleichen, weswegen die Franzosen das Ruhrgebiet besetzten und wir Deutschen seinerzeit in den Generalstreik getreten sind. Die Folge war ein gleichzeitiger Angebots- und Nachfrageschock.
Bei der aktuellen wirtschaftlichen Situation liegt unabhängig vom Pandemieverlauf, der ja siehe der Spanischen Grippe häufig drei Wellen aufweist, zusätzlich eine Zerschlagung von globalen Liefer- und Wertschöpfungsketten vor, verknüpft mit einem irren Staatsinterventionismus. Das Ganze wird überlagert von einer Produktivitätskrise insbesondere im Euroraum seit der Weltfinanzkrise 2008/2009 und von einer existentiellen Krise des Euros als Gemeinschaftswährung.
Man muss sich vor Augen führen, dass wegen einer für Italien und Spanien nicht passenden Gemeinschaftswährung mit der Unmöglichkeit zur Abwertung auch im Jahr 2017, also fast 10 Jahre nach der Finanzkrise, das Bruttoinlandsprodukt in beiden Ländern 2017 nur geringfügig höher war als 2008/2009. Griechenlands Bruttoinlandsprodukt lag sogar weiterhin im Jahr 2017 um 21,7% unter dem Wert vor der Finanzkrise. Eine schnelle Erholung ist also schon mit Blick auf die jüngste Vergangenheit der Eurozone ein Hirngespinst.
Der Euro liegt zudem bereits mehr als die Hälfte seiner Lebenszeit auf der Intensivstation, die Euro-Sünderstaaten im Süden stehen mit einer erdrückenden Staatsschuldenlast bereits vor Aufkommen der Pandemie mit dem Rücken zur Wand. Das gesamte Bankensystem ist unterkapitalisiert. Im Ergebnis sind also wesentliche ökonomische Grundprobleme nicht nur nicht gelöst, sondern werden infolge der Pandemie noch verschärft. Und nun soll sich die Ökonomie rasch erholen?
Das U – der natürliche Konjunkturverlauf
Das „U“ wird häufig als Synonym für einen weniger steilen Verlauf der Konjunktur als beim „Vau“ herangezogen. Mir gefällt diese Heranziehung des „U“ nicht so recht. Passender zum Verlauf wäre die Vorstellung eines tiefen, weit gezogenen Tales oder eines großen tiefen Tellers.
Dieser Verlauf ist an sich der „natürliche“ – ohne den unsäglichen notorischen Staatsinterventionismus in der Wirtschaft. Zu Beginn des Konjunkturzyklus treten Überkapazitäten zutage, die Anlagenauslastung beispielsweise der Maschinen ist unzureichend, Personal wird teilweise nicht mehr benötigt, weil ein Angebotsüberhang vorliegt. Die Konjunktur trübt sich ein. Es erfolgen Marktanpassungen, insbesondere Preissenkungen, Entlassungen von Personal, wodurch sich das Angebot am Markt nach unten anpasst. Wir sind nun gedanklich im tiefsten Punkt des Tales, der Krise. Im weiteren Verlauf entsteht durch die vorgenannten Anpassungsprozesse wieder ein Nachfrageüberschuss, der zur Angebotserhöhung und damit zur allmählichen Wiedererholung der Konjunktur führt.
Seit einigen Jahren versucht man diesen an sich natürlichen Verlauf der Konjunktur durch einen neuen vermeintlichen Zauberlehrling zu vermeiden. Durch Niedrigzinsen und eine extreme Geldmengenausweitung soll jede Krise vermieden werden. Dies war die Geburtsstunde der Zombiearmee von Unternehmen und Banken mit viel zu geringer Eigenkapitalausstattung. Zudem sollte die Fehlkonstruktion Euro gerettet werden. Nach mehr als 10 Jahren ohne Krise, aber geringem Wachstum, also nach vierzig Quartalen ohne Rückgang der Wirtschaftsleistung wird nun abermals der zum Scheitern verurteilte Versuch unternommen, eine Marktbereinigung, eine Befreiung von unrentablen Zombieunternehmen zu vermeiden.
Das L – die ökonomisch Vollkatastrophe
Das „L“ symbolisiert einen katastrophalen Wirtschaftseinbruch, von dem sich die Ökonomie auf Sicht nicht erholt, also den totalen Zusammenbruch. Marc Friedrich vom Erfolgsautorenduo Friedrich/Weik bezeichnet dieses „L“ auch häufig als „Hockeystick“.
Als anschauliches Beispiel kann hier ein Weltkrieg dienen, der alles zerstört und jegliches (ökonomisches) Leben auf Jahre hin zum Erliegen bringt. Eine weitere Ausprägung dieses Katastrophenszenarios wäre eine Mutation des derzeitigen Corona-Virus zu einem wahren Killervirus mit extrem hoher Letalitätsrate ohne vorhandene medizinische Impf- oder Heilungsmethoden. Hoffen wir alle, dass wir ein solches Horrorszenario nie erleben müssen. Kann der Markt wirken, wird jede Krise überwunden, mögen die erforderlichen Anpassungsprozesse auch an vielen Stellen brutal sein.
Die umgekehrte Wurzel – das wahrscheinliche Szenario
Dieses symbolhafte Zeichen für den Konjunkturverlauf hat nicht zuletzt Professor Hans-Werner Sinn in den öffentlichen Diskurs gebracht. Er spricht vom umgekehrten Wurzelzeichen. Stellen Sie sich zur Veranschaulichung eine Spiegelung des Wurzelzeichens an der Mittelachse vor, so erhalten Sie den nachfolgenden Verlauf.
In diesem Szenario bricht die Konjunktur drastisch ein, erholt sich zwar relativ rasch, erreicht aber auf Sicht nicht mehr das Niveau des Vorkrisenstadiums. Wie bereits beim „Vau“ ausgeführt entspricht dies der historischen Entwicklung in der Eurozone und dem Paradoxon sinkender Zunahme der Produktivität trotz Digitalisierung. Insbesondere die Euro-Schuldenstaaten im Süden haben sich seit der Finanzkrise nicht oder erst nach vielen Jahren wieder erholt. Wieso sollte dies in Anbetracht eines zusätzlich völlig ungewissen Verlaufes der Pandemie anders sein?
Die Bundesregierung glaubt an das „Vau“ – glauben Sie an den Weihnachtsmann?
Wie bei der Verlängerung der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht oder des erweiterten Corona-Kurzarbeitergeldes wird auch die angekündigte Frist zur Anhebung der Mehrwertsteuer auf das Ursprungsniveau verlängert werden. Je nach Verlauf und Dauer der Krise vielleicht auch auf unbestimmte Zeit.
Lassen Sie sich also nicht von den ökonomischen Autisten in der Bundesregierung für dumm verkaufen.
Die angekündigte Wiederanhebung der Mehrwertsteuer zum 01.01.2021 können Sie für Ihre persönlichen Dispositionen getrost in die Tonne klopfen!
Harte Zeiten stehen bevor! Bleiben Sie stark! Vale!
Hinweis: Zur detaillierten Analyse der Mehrwertsteuerproblematik habe ich einen ausführlichen Podcast erstellt.
Ich bitte um wohlwollende Rezeption und Weiterleitung!
Dangel kurz&bündig Podcast 1: Der Mehrwertsteuernepp der Bundesregierung!