War der Militarismus im Dritten Reich ausgeprägter als im Kaiserreich?

Deutsche Landser in der kollektiven Erinnerung (Bildq.: The New York Public Library on unsplash.com)

WEDER-NOCH!! Weder im Staatsleben von 1870 bis 1914, noch in den Friedensjahren des Dritten Reiches spielte eine Beziehung der Öffentlichkeit zur Wehrmacht eine besondere Rolle, wenn man die Verhältnisse in Deutschland mit jenen in Frankreich, England oder erst recht Polen vergleicht.

Geschichtsverfälschung deutscher Militarismus seit 1871

Das Kaiserreich war “saturiert” und in keiner Hinsicht auf Expansion aus. Bismarck hatte ein ausgeklügeltes Defensiv-Schema von Verträgen mit den Nachbarn geschlossen, dessen Glanzstück, der “Rückversicherungsvertrag” mit Russland, eigentlich den Frieden “für immer” gewährleisten sollte.

Das Dritte Reich war auf Jahre vollauf damit beschäftigt, die Deutschen vor dem Verhungern zu bewahren. Heute stellt sich keiner mehr vor, wie gigantisch die Verelendung nach der Weltwirtschaftskrise in Deutschland war, mit einsamem Höhepunkt 1932! 6 Millionen Arbeitslose bedeuteten 25 Millionen, die hungern und frieren mußten. Denn von jedem Arbeitslosen hing ja ein ganzer Haushalt ab, und es gab sehr viele kinderreiche Familien. Wer arbeitslos war, bekam nur kurz eine niedrige ALG, dann nur noch eine mikroskopische Armenhilfe.

Die Häuser verfielen, die Bauern konnten kaum noch produzieren, da die Kaufkraft für ihre Produkte fehlte, die Pacht aber hoch blieb. Es wurde massenhaft zwangsversteigert. Dazu kam die völlig leere Staatskasse (Reparationen, Inflation, Ruhrkampf), Gold oder Devisen gab es nicht! Dazu kam ein sehr wirkungsvoller Boykott (politische Sanktionen) aller deutscher Exporte. Der symbolische “Gegenboykott” in Deutschland beschränkte sich auf einen Samstag Vormittag, als ohnehin die jüdischen Geschäfte meist geschlossen waren. Die Selbstmordrate und die Eigentumskriminalität kletterten auf ungeahnte Höhen, die Geburtenrate sank auf derart niedrige Katastrophenwerte, wie sie nur noch die heutige BRD erreichte. Allerdings gab es keine fremden Siedler.

Miniaturisierung der Reichswehr wegen Versailles

Militär, das einen “Militarismus” hätte entfalten können, gab es ja so gut wie nicht. Weiterhin bestand ja das 100.000-Mann-Heer, das “Versailles” erzwungen hatte. Ständig mußte ein Angriff Polens erwartet werden, die Heeresleitung hätte notgedrungen ganz Schlesien den Polen überlassen müssen.
Nach dem Text des Versailler “Vertrages” hätten die Großmächte allesamt abrüsten müssen, bis herunter auf den Stand Deutschlands. Diese (einzige!) Verpflichtung der Alliierten aus dem “Vertrag” ignorierten die Alliierten jedoch, rüsteten statt dessen massiv AUF! Deutschland legte im Völkerbund eine ganze Reihe von Vorschlägen vor, wie eine friedenserhaltende Rüstungsparität zu erreichen wäre, alle ABGLEHNT!

Erst nach einigen Jahren (1935/36), als alle diplomatischen Versuche scheiterten, hielt die deutsche Regierung eine Volksabstimmung über einen Austritt aus dem Völkerbund ab, erklärte den Austritt und begann mit dem mühseligen Geschäft der Schaffung einer neuen deutschen Armee. Es war allen Beobachtern im In- und Ausland sonnenklar, daß diese frischgebackene Wehrmacht über viele Jahre hinweg nur Kindergartenniveau würde haben können. Es fehlten ausgebildete Reservejahrgänge, jede Waffe mußte neu erfunden und erstmal hergestellt werden, die geringe Wirtschaftskraft Deutschlands erlaubte keine großen Sprünge, etwa Panzer, Großkampfschiffe, Flugzeuge.

“Butter statt Kanonen” zu Anfang des Dritten Reichs

Die Wirtschaftskraft wurde aber weiterhin vor allem für “Butter” eingesetzt, nicht für “Kanonen”. Der Ausdruck “Wirtschaftswunder” ist auf diese Epoche hin geprägt worden. Das heißt, das Land erlebte aus tiefster Verelendung einen Aufstieg zu bescheidenem Wohlstand, es gab soziale Reformen, mit denen die Deutschen ganz an die Spitze Europas rückten. Daß Arbeitern plötzlich bezahlter Urlaub zustand und sie in Anzügen Ferien auf vornehmen Kreuzfahrt-Schiffen machen und so wie große Herren Reisen nach vielen Orten Europas unternehmen konnten, das war eine Revolution und eine vielbeneidete Sensation. In englischen Häfen durften diese Schiffe gar nicht anlegen, da die dortige, lupenrein demokratische Regierung die Emotionen ihrer Arbeiter fürchtete.“ Die Deutschen nahmen den Aufbau der Wehrmacht eher mit Unbehagen zur Kenntnis, von einer Militärbegeisterung, einem Militarismus, konnte nicht die Rede sein.