Leben wir immer noch im Deutschen Reich?

"Reichsbürger" behaupten, das Deutsche Reich existiere weiter und sprechen der Bundesrepublik die Legitimität ab. Was steckt dahinter?
Brandenburger Tor: Bekanntes Symbole des Deutschen Reiches (Bildquelle: Rainer Sturm/pixelio.de)

Die Geschichte des Deutschen Reiches

Ein „Deutsches Reich“ existiert eigentlich in Kontinuität seit den Reichsteilungen nach Karl dem Großen. Denn das Ostfrankenreich wurde bereits damals als das Regnum Teutonicorum bezeichnet (Annales luvavenses maxim, 920).  Es umfaßte diejenigen Teile Mitteleuropas, in denen sich (seit 750) aus den Stammessprachen der germanischen Stämme das Althochdeutsche herausbildete. Als der Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Franz II. 1806 für seine Person die Krone niederlegte, ist das Reich dadurch nicht erloschen, seine Legitimität fiel auf den „Ewigen Rat der Deutschen Fürsten“ zurück, und es waren die Deutschen Fürsten, die 1871 die Krone des Reiches an die Hohenzollern weiterreichten.

Selbstverständlich ist das Alte Reich auch 1945 nicht „untergegangen“. Ein Staat verschwindet nicht, nur weil er militärisch besiegt wurde, oder weil er einen völkerrechtlichen Vertrag „Kapitulation“ unterschrieben hat, mag dieser nun viele oder nur wenige „Kapitel“ enthalten („Bedingungslose Kapitulation“). Frankreich wurde 1940 besiegt, es hat kapituliert, und selbstverständlich ist es nicht „untergegangen“. Und im Jahre 1918 wurde ja ungeachtet des nicht siegreich beendeten Krieges zwar die Staatsform verändert, aber keiner wagte es, die Axt an das Deutsche Reich zu legen.

Und 1933 erbat der neugewählte Kanzler Hitler vom Parlament die Zustimmung zu einem der in der Weimarer Republik häufigen „Ermächtigungsgesetze“, aber das Deutsche Reich blieb selbstverständlich unangetastet bestehen. Die drei Kabinette vor 1933 hatten darauf verzichtet, das Parlament um die „Ermächtigung“ zu ersuchen. Sie regierten direkt mit Hilfe von Diktaturverordnungen („Notverordnungen“) nach Art. 48 der Verfassung. Auch von diesen nur für echte Notfälle gedachten Verordnungen wurde in der Weimarer Republik häufig Gebrauch gemacht.

Was ist 1945 geschehen?

Deutschland wurde von den rund fünfzig Kriegführenden besiegt. Die Nachkriegsregierung Dönitz hat durch Bevollmächtigte einen Vertrag mit den 4 Alliierten über die Kapitulation Deutschlands abgeschlossen. Drei Wochen später haben die Alliierten die Regierung verhaftet. Wieder eine Woche später (am 5. Juni 1945) haben die Alliierten erklärt, von diesem Tag an übernehme eine alliierte Militärregierung die gesamte Regierungsgewalt über die Deutschen, der Alleinherrscher sei der militärische Oberbefehlshaber aller alliierten Streitkräfte, Eisenhower. Wenn man unfreundlich sein will, kann man das eine „absolute Militärdiktatur“ nennen.

Beide Akte waren selbstverständlich völkerrechtswidrig, die Haager Landkriegsordnung von 1910 gesteht der Besatzungsmacht nur recht begrenzte Rechte zu. Aber keiner der beiden führte zum Untergang Deutschlands, des Deutschen Reiches. Ein bißchen anders verhält es sich mit dem Jahr 1949.

Die Geschiche der Bundesrepublik Deutschland

Zunächst erlassen die W-Alliierten 1949 das „Besatzungsstatut“, das die völlig unbeschränkte Willkürherrschaft der Alliierten auf etwa ein Dutzend Punkte reduziert, die zwar immer noch buchstäblich jede Lebensäußerung der Deutschen dem Belieben der Alliierten unterwerfen, aber wenigstens ist jetzt kodifiziert, was sie sich weiterhin anmaßen, und was nicht. Zugleich beauftragen sie ein paar handverlesene Deutsche damit, ein Grundgesetz zu verfassen. Die Präambel behauptet, „… in Ausübung seiner verfassungsgebenden Gewalt habe sich das Deutsche Volk das folgende Grundgesetz gegeben“.

Das ist zwar gelogen, denn das Deutsche Volk wurde ja gar nicht gefragt, erst recht wurde es nicht tätig, und es hätten ohnehin nur die in den Westzonen anwesenden Deutschen gefragt werden können. Aber nehmen wir einen Moment lang an, das Deutsche Volk hätte tatsächlich „in Ausübung seiner verfassungsgebenden Gewalt“ gehandelt, dann wäre zwar das Reich nicht untergegangen, aber dann wäre mit dem neuen Grundgesetz ein neuer Staat entstanden, neben dem alten.

Seitdem besteht unser staatsrechtliches Handeln in einem dauernden „So-Tun-Als-Ob“.

Bundesrepublik Deutschland: Konstruiert als Provisorium

Tun wir so, als hätten die Autoren des GG den bestimmten Auftrag einer konstituierenden Nationalversammlung gehabt, das Reich (in anderer Form) fortzusetzen, dann wäre die BRD mit dem Reich identisch, sie wäre seine Fortsetzung oder Nachfolgerstaat. Dann wäre das Deutsche Reich in seinen herkömmlichen Formen erloschen und durch die Bundesrepublik Deutschland ersetzt.

Tun wir so, als wären die Autoren des GG vom Volk kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt mit der Ausarbeitung einer Verfassung beauftragt gewesen, dann gibt es zwei Staaten, das Deutsche Reich und daneben einen neuen Staat BRD. In diesem Fall wäre das Grundgesetz die „Verfassung“ der BRD.

Tun wir hingegen nicht so, dann gibt es die BRD gar nicht als Staat im vollen Wortsinn, denn was ein paar Hanseln über Auftrag der Alliierten tun oder nicht, bleibt irrelevant, wenn sie eben nicht den Auftrag des Volkes haben. Die BRD wäre somit das, als was sie der eminenteste Politiker unter den Autoren, der SPD-Politiker CARLO SCHMID, in seiner berühmten Rede vor dem parlamentarischen Rat einordnete: ein Staatsfragment, die „Organisationsform einer Modalität der Fremdherrschaft“.